INSPEKTOR SVENSSON: WANNABE SVENSSON [Der neue Adventskalenderroman]

Die folgenden Ereignisse finden zwischen 13 und 14 Uhr am Vortag zum Heiligen Abend des Jahres 2009 nach Christi Geburt statt. Alles, was Sie lesen, ereignet sich in Koordinierter Weltzeit UTC.

23.12.2009 - 13:00 UHR

[Lukas hat einiges zu verdauen, Wannabe macht flinke Hufe]

Charles und Diane hockten gemeinsam auf dem Kutschbock, blickten auf den langsam vorbeischlitternden Verkehr und lauschten dem eintönigen Glockenschlag Bin Bens, als Wannabe mit einem Mal seine Hand erhob und seinen Zeigefinger die Straße hinunter in Richtung Hyde Park ausrichtete, wozu er in den dicht fallenden Schnee hineinblinzelte und rief: "Na, nun schlägt's aber 13! Wenn das nicht der Herr ist, der sich vor wenigen Stunden auf der Suche nach Arbeit von der London Bridge zum Sozialamt aufbrach. Herr Fist, wenn ich mich nicht irre?! Und ich irre mich eigentlich nie!". Die vor Kälte zitternde Gestalt, der seine Ansprache galt, war inzwischen raschen Schrittes nähergekommen und stammelte nun, nach Luft schnappend: "Mister ... Sir Chales ... Herr Wannabe ... Ich ... also Mister Pauli ... er hat ... er meinte ... ich sollte zu Ihnen ... Sie wüßten dann schon, was ... was zu tun sei ...". Charles Wannabe sprang vom Kutschbock herab, zog sich die Fäustlinge von den Händen und gab sie Henry Fist. Anschließend streifte er sich kurzerhand auch noch die Wattejacke von den Schultern und legte sie behutsam um Fist's frierenden Leib, wozu er mit besorgter Stimme sprach: "Mein lieber, guter Mann! Sie zittern ja wie Espenlaub. Daß Sie sich nur nicht noch den Tod holen bei dem Sauwetter. Und nun atmen Sie erst einmal tief durch und dann erzählen Sie ganz in Ruhe, was Sie auf dem Herzen haben!". Henry Fist, der inzwischen einen Knopf der Wattejacke geschlossen und sich dann eilends die Handschuhe übergezogen hatte, nickte ganz aufgeregt mit dem Kopf: "Ja, ja ... den Tod holen ... ganz recht ... wir alle werden uns bald den Tod holen, wenn wir ... wenn wir ihn nicht aufhalten ... aufhalten, diesen gemeingefährlichen Kerl mit dem Hinkefuß ... Er heißt Lou ... Lou Cypher ... und er wohnt in ... in einem Loch ... Kellerloch, von wo aus er mit ... mit einer Atombombe ... die ganze Menschheit mit einem Schlag ... einem nuklearen Erstschlag ver ... vernichten will!". Diane und Charles stockte der Atem. Entsetzt begann der eben noch so ruhige Wannabe Henry Fists Oberkörper mit leichtem Druck seiner auf die Schultern gelegten Hände zu schütteln: "Was sagen Sie da? Eine Atombombe! Das ist ja schrecklich! Wann und wo denn nur? So reden Sie doch!". Henry Fist aber zuckte nur mit den - von Wannabe fest umklammerten - Schultern: "Ich ... ich weiß es doch nicht ... Ich ... ich konnte doch nicht erkennen, wo ... wo sich der Keller befindet ... Alles ... alles, was ich weiß ist ... er trägt einen roten Anzug ... er hinkt ... er nennt sich Lou Cypher ... und seine Organisation heißt ... Final Countdown". Charles Wannabe entließ Fists Schultern wieder aus seinem Griff und dachte einen Moment nach, dann sprach er mit fester Stimme, wohl mehr zu sich selbst als zu dem armen Henry: "Nur keine Panik! Durchdrehen macht alles nur noch schlimmer!". Und sichtlich ruhiger werdend, ergänzte er schließlich: "Wir bringen Sie jetzt erst einmal unverzüglich zum Yard, und Sie schildern dort alles, was sie erlebt haben, dem zuständigen Beamten noch einmal ganz genau, in allen Einzelheiten". Mit diesen Worten half er Henry Fist auf die Ladefläche des Pferdeschlittens, und instruierte dann Diane wie auch die beiden Pferde: "Auf gehts, in Windeseile - so schnell die Hufe traben - nach SW1 Broadway Nummer 10, in die Heiligen Hallen von New Scotland Yard. Hüahh!". Auf Charles Geheiß zog Diane die Zügel an, und vier Paar Pferdebeine setzten sich in Trab, wodurch der Schlitten mit leisem Glöckchenklang erst langsam, dann aber zügig immer schneller werdend, in Bewegung geriet.

Nahezu unfähig zu jeglicher Form von Bewegung hockten derweil Lukas Svensson und der kleine Luke mit übervollen Bäuchen auf dem Sofa im heimischen Wohnzimmer. Opa Lukas hatte dabei seinen Enkel auf dem Schoß und seine Lesebrille auf der Nase sitzen und las dem andächtig lauschenden Knaben die Weihnachtsgeschichte von Dickens vor. Dabei ließ er seine Arme immer wieder zur Veranschaulichung des Gelesenen durch die Luft kreisen und veränderte seine Stimme, je nachdem, ob er sie dem alten Geizkragen Scrooge, dem armen kleinen Tiny Tim, Bob Cranchet oder den drei Geistern der vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Weihnacht lieh. Yelena lugte immer wieder durch die Tür ins Zimmer, während sie in der Küche gemeinsam mit ihrer Tochter Jane, Cathrin und Nina den großen angefallenen Berg abzuwaschenden Geschirrs bewältigte. Lukas' Tochter Lisa aber stand mitten im Flur, wo sie andächtig ihre mitgebrachte Geige zwischen Schulter und Kinn eingelegt hatte und - mit dem Bogen sanft über deren Saiten streichelnd - die anrührend weihnachtliche Melodie von "Hark The Herald Angels Sing" hervorzauberte. Nina Svensson, ihre Mutter, mußte sich während des Geschirrabtrocknens immer wieder mit dem Handrücken über die Wange streichen, um sich so die eine oder andere verstohlene Träne wegzuwischen, wozu sie seufzend anmerkte: "Ach, was ist sie nur für eine wundervolle, bezaubernde Frau geworden, meine kleine Lisa. Die Kinder werden ja so schnell erwachsen. An ihnen merkt man erst, wie rasch man älter wird und einem dabei das kurze Erdenleben langsam und unaufhaltsam durch die Finger rinnt". Jane und Yelena schauten sich gegenseitig an und nickten stumm. Cathrin aber hielt mit einem Male inne. Ihr Gesicht verlor seine so anmutige, zartrosa Färbung, und mit bedrückter Stimme fragte sie: "Geht es Ihnen dann auch manchmal so, daß Sie darüber nachdenken, was Sie alles an schwerer Schuld in ihrem Leben auf sich geladen haben und wie Sie damit weiterleben oder gar einmal in Frieden sterben sollen?!". Nina Svensson schaute die blasse Frau nachdenklich an, dann sprach sie: "Ja, hin und wieder schon. Wenn man, wie ich, einen leitenden Posten auf dem rutschigen Parkett internationaler Weltpolitik innehat, dann muß man immer wieder Entscheidungen treffen, in denen es für die Menschen durchaus um einiges geht - vielleicht im Einzelfall sogar um Leben und Tod. Dieser Gedanke belastet einen im Nachhinein natürlich sehr. Allerdings muß ich dann in solchen Momenten auch stets daran denken, um wieviel schwerwiegender es wohl sein muß, wenn man das Leben eines Menschen mit den eigenen Händen für immer auslöscht?!". Nun waren es Cathrin und Jane, die sich mit einem beklemmenden Gefühl im Bauch tief in die Augen schauten. Ja, es kam ihnen beiden in diesem Augenblick fast so vor, als würden ihnen Ninas eindringliche Worte quasi einen Dolch mitten ins Herz stoßen. Im Wohnzimmer war Lukas derweil mit Ebenezer Scrooge und dem zukünftigen Weihnachtsgeist gemeinsam auf einem Friedhof an einem Grabstein angelangt, dessen eingemeißelter Name sich dem Geizhals in diesem Moment in schrecklichster Weise offenbarte. Und Opa Lukas schlüpfte noch einmal in die Rolle Ebenezer Scrooges, der - bei ihm stimmlich ein wenig wie Charles Wannabe klingend - nun die zitterde Hand in die Höhe streckte, um inständig zu flehen: "Ich will Weihnachten in meinem Herzen ehren und versuchen, es zu feiern! Ich will in der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft leben! Die Geister von allen dreien sollen in mir wirken! Ich will mein Herz nicht ihren Lehren verschließen! Oh, sage mir, daß ich die Schrift auf diesem Steine weglöschen kann!". Cathrin, die in der Küche nur den letzten Satz dieses Rollenspiels vernahm, wurde im selben Augenblicke leichenblaß, verdrehte ihre Augen und sank in sich zusammen. Nur das rasche Zugreifen Janes bewahrte die geliebte Freundin vor dem Sturz auf den weißgekachelten Küchenboden. Und mit leiserwerdender Stimme wisperte sie, kaum noch zu verstehen: "Steven! ... Weglöschen!". Dann aber verlor sie das Bewußtsein.

Im Eiltempo bog der Pferdeschlitten mit Charles, Diane und Henry Fist derweil in die Einfahrt von New Scotland Yard ein, wo er an der geschlossenen Schranke von einem sichtlich verdutzten Yusuf Kebab in Empfang genommen wurde. Der türkischstämmige Schrankenwärter des Yard stellte sich mit breiten Schultern den wiehernden Pferden in den Weg, verschränkte seine muskulösen Arme vor dem stählernen Bauch und knurrte: "Ey, was guckt Ihr! Ihr kummt hier net rein!". Erst jetzt bemerkte er auf dem Kutschbock - in Lumpen gehüllt - das vertraute Gesicht Charles Wannabes und sprach,auf der Stelle zur Seite tretend: "Verzeihung, Mister Wannabe! Ich hab Sie nicht gleich erkannt! Klar man, mit Ihnen und solch hübscher Jungfrau an Ihrer Seite dürfen auch schon mal die Gäule durchgehen". Mit diesen Worten begab er sich in sein Wärterhäuschen und öffnete per Knopfdruck den Schlagbaum, so daß der Pferdeschlitten passieren konnte. Vor dem Haupteingang des 20stöckigen Gebäudes angelangt, brachte Diane die Pferde sodann mit einem einzigen festen Zug an den Zügeln zum Stehen. Charles sprang sogleich vom Kutschbock und half dann Henry Fist beim Absteigen von der Ladefläche. Schließlich reichte er auch Diane seine hilfsbereiten Hände, doch die schüttelte nur leicht mit dem Kopf und sprach: "Charles, ich denke, von hier an kommen Sie nun auch wieder ganz gut ohne mich zurecht. Ich für meinen Teil würde mich, wenn Sie nichts dagegen haben, lieber wieder an Paulis Seite um all die Hilfsbedürftigen da draußen kümmern. Sie haben es doch am eigenen Leib hautnah zu spüren bekommen, wie sehr all diese armen Menschen unsere Hilfe nötig haben!". Charles Wannabe nickte sichtlich berührt, dann ergriff er Dianes Hand, drückte sie ganz fest und meinte: "Ja, das habe ich! Also dann, alles Gute für sie Beide! Grüßen Sie Pauli von mir und sagen Sie ihm nochmals ein herzliches Dankeschön für alles, was er für mich getan hat!". Und etwas melancholisch angehaucht, fügte er leise hinzu: "Nur noch eine Frage, Diane! Werden wir jemals wieder voneinander hören?". Diane aber beugte sich vom Kutschbock ein wenig zu Charles hinunter und hauchte ihm einen Kuß auf die Stirn, wozu ihre zarte Stimme verkündete: "Oh ja, das verspreche ich Ihnen!". Lächelnd erhob sie ihr Haupt wieder und startete ihren Zwei-PS-Schlitten mit einem forschen "Hüah!". Charles brauchte nach diesem berührenden Abschiedsmoment erst einmal einige Sekunden, um wieder zu sich zu kommen, dann jedoch drehte er sich mit einem kleinen wäßrigen Schleier vor Augen blitzartig zu Henry Fist um und erklomm mit ihm gemeinsam schnellen Fußes die 36 Stufen der Treppe, die zum Eingang des Yardgebäudes hinaufführte.

Auch Cathrin Napolitani hatte einen Moment gebraucht, um wieder zu sich zu kommen, doch nun schlug sie langsam die Augen auf und sah sich erschrocken um. Dabei flüsterte sie ganz aufgeregt: "Wo bin ich? Was ist passiert?". Sie blickte in das Gesicht Lukas Svensson, dessen bärtiger Mund auf sie mit beruhigender Stimme einredete: "Nur keine Angst, Kate! Du hattest nur einen kleinen Ohnmachtsanfall. Jane und ich haben Dich zusammen von der Küche ins Wohnzimmer getragen und Dich hier aufs Sofa gelegt. Du solltest Dich jetzt ein wenig ausruhen und schonen. Möchtest Du einen Schluck Wasser trinken?!". Cathrins Kopf nickte. Lukas aber nahm sofort ein auf dem Couchtisch bereitstehendes Glas mit Quellwasser zur Hand und führte es vorsichtig an ihre Lippen, während er mit seiner anderen, freien Hand behutsam unter ihren Kopf griff und ihn ein wenig anhob, so daß sie - ohne sich zu verschlucken - trinken konnte. Schluck um Schluck leerte Cathrin das Glas bis zur Neige, woraufhin Lukas ihren Kopf wieder auf die Sofalehne zurücklegte und ihr dabei die Frage stellte: "Erinnerst Du Dich vielleicht noch, warum Du so plötzlich ohnmächtig wurdest?". Ihr Blick ging zur linken Seite, wo ihre Freundin Jane hinter der Rückenlehne des Sofas stand und die ganze Zeit über ihr eisklates Händchen hielt. Ja, sie erinnerte sich daran, was sie soeben zu Fall gebracht hatte. Es waren die Bilder in ihrem Kopf - diese furchtbaren Bilder, die sie seit Jahren immer wieder heimsuchten: das dunkle Zugabteil, die Klinge zweier Messer, die weitaufgerissenen Augen ihres Mannes Steven, die unaufhörlich zustoßenden Bewegungen zweier zarter Frauerhände und Blut, überall Blut ... Blut, das sich ganz einfach nicht wegwischen ließ, so sehr man sich auch bemühte. Wieder schaute sie auf die ihr nahestehende Freundin, sah die Angst in ihrem Gesicht - jene panische Angst, die sich auszumalen versuchte, was geschehen würde, wenn das sie Beide auf weig verbindende grausige Geheimnis doch eines Tages noch ans Licht der Öffentlichkeit geriete. Eine Angst, die sie natürlich teilte, und die sie in solchen Augenblicken dennoch immer öfter gegen die Möglichkeit abwog, mit einem Geständnis endlich ihre Seele von der schweren, qualvollen Last der Schuld zu befreien. Janes Finger streichelten in diesem Moment liebevoll über den Handrücken Cathrins, deren Blick nun wieder langsam zu Lukas Svensson hinüberschweifte, wobei ihre blassen Lippen schließlich ein leises "Nein, ich kann mich beim besten Willen nicht mehr daran erinnern!" hervorpreßten.

Sehr genau erinnern mußte sich hingegen im selben Augenblick Henry Fist, der gerade im Büro des - nach dem gewaltsamen Ableben seines Vorgängers Harold Freakadelly - übergangsweise mit der Leitung des Yard betrauten Sir Jeffrey Douglas, auf einem der Stühle platzgenommen hatte. Jeffrey Douglas hatte mit seinen gerade erst 29 Jahren - die man ihm auf den ersten Blick gar nicht ansah, da ein pechschwarzer Vollbart mehr als die Hälfte seines Gesichts bedeckte - bereits eine steile Karriere hinter sich. Von der Ausbildung zum Polizeibeamten war er aufgrund guter Beziehungen statt in den Streifendienst gleich in den höheren Polizeidienst aufgestiegen. Dort hatte er dann auch keine noch so kleine Chance ausgelassen, sich zu profilieren. Immer wieder machte er mit spektakulären Alleingängen von sich reden und leitete schließlich nach nur drei Jahren schon eine eigene Abteilung im Yard. Und als dann der Posten des Yardchefs für die Zeit bis zum Jahresende vakant wurde, da ließ der eifrige Jüngling erneut seine, bis ins britische Oberhaus reichenden, Beziehungen spielen, um sich die prestigeträchtige Stelle zu sichern. Auch in der neuen Position war er nun wieder bereit, einiges zu riskieren, um am Ende seinen Namen unvergeßlich zu machen. Douglas betrachtete sich die traurige Gestalt Henry Fists genau, dann setzte er sein schlankes Gesäß lässig auf der Tischplatte seines Schreibtischs ab und winkte den neben der Tür stehenden Charles kurz zu sich. Gönnerhaft grinsend sprach er, mit einem recht abfälligen Blick auf Wannabes Kleidung: "Vielen lieben Dank, daß Sie mir den Herrn so rasch hierher gebracht haben, Mister ... wie war noch gleich der Name ... ach ja, Wannabeer! Ich denke, von nun an komme ich ganz gut allein mit dem Herrn First zurecht. Sie haben doch sicher Wichtigeres zu tun, oder? Zum Beispiel ausgiebig duschen und ihre Kleidung richten, nicht wahr?! Einen schönen Tag noch!". Damit war dann für den kommissarischen Yardchef die Unterhaltung mit dem Zubringer jenes wertvollen Zeugen auch schon beendet. Stumm wies seine Hand auf die Ausgangstür, die auch sogleich von einem der anwesenden Beamten geöffnet und hinter einem kopfschüttelnd abtretenden Charles Wannabe wieder geschlossen wurde. Fassungslos stand der auf diese Weise hinauskomplimentierte Ex-Yard-Chef im Vorzimmer seines ehemaligen Büros, wo ihn die zuständige Sekretärin Sabrina Meltstone hinter ihrem Computermonitor nur mitleidig schulterzuckend ansah und ihm schließlich zuhauchte: "Tut mir leid, Sir Wannabe! Aber so ist er eben, der Neue! Ein richtig arroganter Typ. Gar kein Vergleich zu dem liebenswürdigen Mister Freakadelly und sogar noch um ein Vielfaches schlimmer als ...". Wannabe nickte: "Stimmt, Misses Meltstone, gegen den war dann wohl sogar ich selbst zu meinen schlimmsten Zeiten noch Gold wert. Naja, bleibt mir für den armen Henry und uns alle nur zu hoffen, daß er wenigstens was von seinem Job versteht". Und sich vorsichtig zu Sabrina Meltstone hinüberbeugend, ergänzte er leise flüsternd: "Ich weiß natürlich, daß es gegen die Vorschriften verstößt und daß ich gar kein Recht habe, Sie das zu bitten! Aber könnten Sie mich vielleich informieren, falls sich hier in diesem Fall etwas Neues ergeben sollte. Es läge mir wirklich sehr viel daran!". Sabrina nickte ein wenig überrascht, und Charles reichte ihr voller Dankbarkeit zum Abschied lächelnd die Hand. Dann verließ er das Vorzimmer und trat auf den Flur, wo schon eine Sekunde später sein Smartphone zu klingeln begann.

Wannabe befreite das Funktelefon aus der Tasche seiner zerschlissenen Anzughose und führte es an sein Ohr, wo ihm eine tiefe Baßstimme recht nüchtern verkündete: "Mister Wannabe, Charles Wannabe?! Ihre Sekretärin Misses Palmer gab mir Ihre Nummer. Mein Name ist Sergeant Bulldog von der Metro Police. Ich muß Ihnen bedauerlicherweise mitteilen, daß Ihr Fahrzeug - ein roter Ferrari mit dem amtlichen Kennzeichen WANNA B 3 - aufgrund des verkehrswidrigen Parkens in Höhe der London Bridge kostenpflichtig abgeschleppt werden mußte und sich nun auf dem Hof von Scotland Yard befindet. Von dort können Sie es gegen die Entrichtung der fälligen Gebühr in Höhe von 48 Pfund und 6 Pence jederzeit innerhalb der üblichen Geschäftszeiten abholen, die da wären ...". Schmunzelnd unterbrach Charles Wannabe den Beamten beim Aufsagen seiner streng vorschriftsmäßig vorgetragenen Ansage: "Mein lieber Sergeant Bulldog, ich kenne die Zeiten. Vielen Dank und einen schönen Tag noch sowie Frohe Festtage für Sie und Ihre Familie!". Der Beamte am andern Ende war sprachlos. So nett hatte sich in seiner ganzen langjährigen Dienstpraxis noch nie jemand für die Benachrichtigung über eine gebührenpflichtige Abschleppaktion bedankt. Wannabe aber beendete durch eine sanfte Berührung des Telefondisplays den Anruf und machte noch einmal auf dem Absatz kehrt. Zurück an der Tür des Yardchefvorzimmers klopfte er kurz an und wartete, bis von drinnen her ein zartes "Ja, bitte!" erschallte. Dann öffnete er vorsichtig die Tür und trat noch einmal an den Schreibtisch Sabrina Meltstones heran, wobei er der bezaubernden jungen Frau zuraunte: "Sie hätten wohl nicht zufällig ein wenig Kleingeld für mich?! Sagen wir mal 48 Pfund und 6 Pence?! Der gemeinsamen alten Zeiten wegen, zum Beispiel?!". Das Fräulein Sabrina grinste: "Na, übertreiben Sie es da jetzt nicht ein wenig mit Ihrer Tarnung als mittelloser Stadtstreicher, Sir Wannabe?! Aber gut, wenn Sie mich so lieb darum bitten und weil ja auch bald Weihnachten ist, werd ich mal nicht so sein!". Damit zog sie ihre Handtasche unter dem Schreibtisch hervor, entnahm ihrer Geldbörse eine 50-Pfund-Note und überreichte sie ihrem ehemaligen Chef augenzwinkernd mit den Worten: "Stimmt so! Mit dem Restgeld können Sie sich ja noch einen schönen heißen Kaffee oder ein anderes wärmendes Getränk besorgen! Nur keinen billigen Fusel bitte!". Wannabe aber machte in seinem schäbigen Aufzug einen geradezu höfischen Knicks vor ihr und sprach mit feierlicher Stimme: "Fest versprochen, meine Dame! Meinen heißesten Dank und ein Frohes Fest für Sie, Misses Sabrina!". Damit kehrte er erneut auf den Hacken seiner schmutzigen Nobelschuhe um und verließ pfeifend das Büro über den langen Flur des 20. Stockwerks in Richtung Lift. Mit diesem aber ließ er sich sogleich ins Erdgeschoß befördern, wo er, das Foyer durchschreitend - am Empfang und dem dahinterstehenden, sichtlich verblüfften George Adams vorbei - durch die gläserne Eingangstür hinaus ins Freie trat. Hier hielt er für eine Sekunde inne, warf einen verträumten Blick in den jetzt nur noch leise rieselden Schnee. Und mit festen, ruhigen Schritt stapfte er schließlich die Treppenstufen hinunter direkt in den langgestreckten Innenhof des Yard ...

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