INSPEKTOR SVENSSON: WANNABE SVENSSON [Der neue Adventskalenderroman]

Die folgenden Ereignisse finden zwischen 16 und 17 Uhr am Vortag zum Heiligen Abend des Jahres 2009 nach Christi Geburt statt. Alles, was Sie lesen, ereignet sich in Koordinierter Weltzeit UTC.

23.12.2009 - 16:00 UHR

[Lukas auf Abwegen, Wannabe kann nur sitzen und warten]

In seinem finsteren Kellerloch hockte Lou Cypher an einem wackligen Campingtisch vor seinem Netbook und hämmmerte eifrig in die Tasten. Er startete das Chatprogramm ICQ und meldete sich in dem eingeblendeten Fenster mit seinem ICQ-Nickname LordDeVil und seinem dazugehörigen Passwort an, worauf ihm der Ton eines Nebelhorns binnen weniger Sekunden verkündete, daß er nun online war. Dabei tauchten auf der linken Seite des Bildschirms in der Liste seiner Kontakte die Nicknames DCALive und PreMount auf, bei denen das ihren Namen und Benutzerbildern vorangestellte grüne Blumensymbol ebenfalls Sende- und Empfangsbereitschaft signalisierte. Und so begab sich Cypher alias LordDeVil mit beiden Kontakten auch unverzüglich in einen regen Nachrichtenaustausch. Er teilte den Zweien dabei mit, daß er inzwischen einen versierten und scheinbar auch recht naiven Nuklearforschungsexperten an der Angel hätte, den er in exakt einer Stunde zu sich holen würde. DCALive und auch PreMount taten im Gegenzug kund, daß dies eine sehr erfreuliche Nachricht sei und damit ihr - vor einigen Monaten gemeinsam ins Leben gerufenes Projekt "Final Countdown" nun sicher planmäßig zügig voranschreiten würde. DCALive ergänzte zudem, daß er inzwischen nach seiner erfolgreichen OP im Ausland über einen kleinen Umweg durch Rußland nach England zurückgekehrt sei und dabei nebenbei auch höchstpersönlich dem reibungslosen Ablauf des Transports, der Verladung und der Verschiffung der erst kürzlich aufgetriebenen - in Einzelteilen verpackten und in den zugehörigen Papieren passenderweise als Feuerwerkzubehör deklarierten - Abschußeinrichtungen für die Atomsprengköpfe in aller Herren Länder beigewohnt habe. PreMount ergänzte, daß er mit der Beschaffung von waffenfähigem Uran 235 mittels Reaktivierung einiger, seiner noch von früher vorhandenen Kontakte in Ostdeutschland auch gut vorangekommen sei. Ein alter, zu Zeiten der DDR noch nicht erschlossener Seitenstollen der früheren Wismut AG zeige brauchbare Vorkommen jenes radioaktiven Uranisotops - ein rascher Abbau sowie die anschließende Aufbereitung und Auslieferung in alle Welt könne somit nun von seiner Seite aus jederzeit sichergestellt werden. Lou Cypher zeigte sich in seiner Antwort sichtlich zufrieden, mahnte aber gleichzeitig noch einmal dazu, jetzt nur nichts zu überstürzen. Der genaue Termin für die weltweite Aktion stünde für ihn von Anfang an sowieso unumstößlich fest, und er würde ihn ihnen nun auch noch im Verlaufe des heutigen Tages kundtun. Man solle vonseiten der beiden Herren allerdings nicht erschrecken, wenn der Tag X noch in so weiter Ferne erschiene. Erstens nähme das unauffällige Heranschaffen, das Zusammensetzen und Ausrichten der Raketen in den vielen, weltweit eigens dafür angemieteten Lagerhallen sicher einige Monate an Vorbereitung und Absicherung nach außen in Anspruch. Zum zweiten wäre man auch gezwungen abzuwarten, bis sich jener Staub, den der dreiste Diebstahl der russischen Trägerraketen überall aufgewirbelt hatte, wieder legte. Und drittens schließlich käme ja, so ließ es Cypher anklingen, ein wenig mehr Zeit seinen beiden Partnern sicher auch ganz gelegen, da sie - wie sie bereits zuvor mehrmals äußerten - jeder für sich in London auch noch ein paar alte, persönliche Rechnungen zu begleichen hätten. Am Ende zähle bei einem so groß angelegten Unternehmen von internationaler Tragweite sowieso nicht das Tempo, sondern allein der garantierte, sozusagen bombensichere Erfolg. Mit diesem Schlußsatz verabschiedete sich Lou Cypher alias LordDeVil von seinen beiden Geschäftspartnern in deren Unterschlüpfen und meldete sich in aller Eile ab, um anschließend wieder zum Hyde Park aufzubrechen, wo ihn seiner festen Überzeugung nach schon Henry Fist mit einer klaren, positiven Entscheidung erwartete.

Tatsächlich war bei Henry Fist alles klar, zumindest soweit es den gefährlichen Plan von Yardchef Jeffrey Douglas betraf. Ein Mitarbeiter, der sich Kuh nannte, hatte dem ehemaligen Forschungsassistenten in der - im Keller befindlichen - Technikabteilung des Yard einen Minifunksender in einen, zuvor mittels eines Bohrers vom Schuhinnern her extra angelegten Hohlraum im Schaft seiner Gummisohle eingebaut. Der Test des davon ausgehenden Signals war zufriedenstellend verlaufen, und so wurde Henry Fist nun von zwei sonnenbebrillten Beamten aus dem Dunstkreis Douglas' nach draußen zum - im Innenhof bereitgestellten - schwarzen Einsatzjeep des Yard geleitet, auf dessen hinterer Sitzbank er platznehmen durfte, links wie auch rechts sofort eingekeilt von je einem seiner beiden Begleiter. Als Fahrer hatte man einmal mehr - den in dieser Funktion bereits vielfach erprobten - George Adams vom Empfang dienstverpflichtet. Der Motor des Wagens lief, man war abfahrbereit und wartete nun nur noch auf Sir Douglas, der nach dem Ausscheiden Powerichs nun kurzerhand selbst die Einsatzleitung übernahm. Es dauerte noch einige Minuten, dann trat durch die Glastür am Yardeingang ein Mann in schwarzer Uniform und Schnürstiefeln, ausgestattet mit schußsicherer Weste und einem Stahlhelm mit Visier sowie Ellenbogen- wie auch Knieprotektoren ins Freie, der schon Sekunden später auf der Beifahrerseite in den Jeep einstieg. Erst als er das getönte Visier seines Helms hochklappte, erkannte man darunter das Gesicht von Jeffrey Douglas, welcher George Adams sichtlich gereizt anwies: "Na los doch! Worauf warten Sie denn noch, Sie Bremsklotz?!". Dank George Adams geschickten Händen kam das Einsatzfahrzeug rasch in die Gänge und fuhr schließlich unter der - von Yusuf noch rasch in Windeseile hochgefahrenen - Schranke hindurch mit quietschenden Reifen vom Hof.

Weniger schnell waren derweil Lukas Svensson und Claudia Palmer unterwegs. Eigentlich bewegten sie sich samt ihrem fahrbaren Untersatz momentan gar nicht im nicht ganz unüblichen Stop-and-Go des vorweihnachtlichen Feierabendverkehrs inmitten der Londoner City. Und während Claudia am Steuer in den recht kurzen Go-Phasen angestrengt auf den Verkehr vor sich zu achten hatte, nutzte sie die deutlich längeren Stop-Phasen immer wieder, um ihren Beifahrer mit einem vorwurfsvollen Blick zu strafen und ihn dann lang und breit darauf hinzuweisen, daß ihr gemeinsames Feststecken ja eigentlich ganz allein seine Schuld sei. Dabei schweifte ihr Blick an seinem Körper hinunter zu jener, von ihm mit beiden Händen fest umklammerten, bunt bebilderten Plastiktüte mit dem silberfarbenen Aufdruck "Holly Day's Xmas Shop". Lukas konnte in diesen Momenten nicht umhin, sich immer wieder wortreich zu entschuldigen, daß er sie quasi zu diesem Umweg durch die überfüllte Innenstadt genötigt hatte, nur um sich für die schöne Bescherung am Heiligen Abend noch rasch ein Weihnachtsmannkostüm zu kaufen. In jener klassischen Verkleidung mit dem roten Mantel, der roten Hose, dem schwarzen Gürtel und dem weißen Rauschebart wollte er dann nach dem abendlichen Besuch des Krippenspiels in Saint Pauls daheim unter dem Tannenbaum - wie in seiner früheren deutschen Heimat üblich - noch seine Kinder, seinen Enkel und seine liebreizende Frau mit ein paar Geschenken beglücken, und hoffte dabei natürlich insgeheim schon darauf, von letzterer anschließend im Gegenzug nach dem Zubettgehen auch noch ein wenig beschenkt und beglückt zu werden. Allein der Gedanke daran schaffte es in Lukas' Augen bereits, die geringen Kostüm-Anschaffungsunkosten von 2 Pfund 41 Pence wieder wettmachen und das mißmutige Gesicht und den nicht ganz so leisen Ärger Claudias noch ein Weilchen über sich ergehen zu lassen, während er gleichzeitig andächtig und erfüllt von weihnachtlicher Vorfreude dem Hupkonzert der gestreßten Autofahrer rund um sich herum lauschte.

Geradezu still hingegen war es im Vorzimmer zum Chefbüro des Yard, jetzt wo der Chef selbst ausgeflogen war und sich die Fernüberwachung der von ihm ins Leben gerufenen Geheimaktion zum größten Teil komplett in der Technikabteilung im Keller abspielte. Sabrina Meltstone war in das Lesen des soeben im ganzen Hause verbreiteten Memos mit der Nummer 24/1/1972 vertieft, in dem die gesamte Mitarbeiterschaft von Jeffrey Douglas persönlich nochmals unter Strafadrohung eindringlich darauf hingewiesen wurde, daß man über firmeninterne Abläufe unbedingtes Stillschweigen gegenüber jedermann - auch gegenüber anderen Regierungsbehörden des Empire - zu wahren habe. "Die Unterrichtung Dritter über innerbetriebliche Interna unterliegt ausschließlich dem amtierenden Leiter von New Scotland Yard", endete das Schreiben des selbigen schließlich kurz und knapp. Ein paar kleine Sorgenfalten auf der Stirn verunstalteten das sonst so glatte, makellose Gesicht der bezaubernden jungen Frau, die sich fragte, warum die anderen und sie extra noch einmal über etwas belehrt wurden, was sie doch alle schon in ihrem Arbeitsvertrag unter Punkt 24/8 mitunterschrieben hatten. Im selben Moment klopfte es an der Tür ihres Büros - erst zaghaft, dann fester. Jäh aus ihrer Gedankenwelt aufgeschreckt, stammelte die Chefsekretärin ein unsicheres: "Äh ja, bitte!", worauf die Tür weit aufgestoßen wurde und unter leisem Surren ein elektrischer Rollstuhl auf sie zurollte. Hinter einem großen Strauß roter Rosen aber lugte, schüchtern lächelnd, das Gesicht Tim Hackermans hervor. Sabrina Meltstone versuchte, die augenblicklich in ihr aufkommende Aufgeregtheit in einen möglichst gleichgültigen Gesichtsausdruck umzuwandeln, was ihr auf den ersten Blick auch ganz gut gelang. Dazu fragte sie ganz beiläufig und recht barsch, mit starrem Blick auf den Computermonitor Timmys achso süßen Kulleraugen erfolgreich ausweichend: "Was willst Du hier? Mir noch einmal sagen, daß es endgültig aus ist, daß Du mich nicht liebst und auch nie wirklich geliebt hast? Mich noch einmal demütigen und zum Heulen bringen? Das kannst Du Dir sparen, ebenso wie Dein welkes Gemüse da zum Trösten meiner tiefverletzten Seele. Ich glaube, es ist besser, wenn Du wieder kehrt machst und verschwindest! Ich hab hier nämlich zu arbeiten!". Timmy aber dachte gar nicht an Umkehr. Er legte seine Rosen auf dem Schreibtisch ab, und griff dann nach Sabrinas zartem, leicht zitternden Händchen, welches er mit beiden Händen fest umschloß, zu sich heranzog und schließlich auf seiner linken Brust in Höhe des Herzens wieder ablegte. Dazu sprach er mit leiser, zdünner Stimme: "Sabrina, Liebes! Du hast allen Grund, sauer auf mich zu sein! Ich war ein Esel! Daß ich Dich so brutal von mir weggestoßen hab, geschah dabei keineswegs, weil ich Dich nicht liebe. Ganz im Gegenteil: Ich hab es getan, weil ich Dich mehr liebe als alles andere auf der Welt! Ich wollte doch nur nicht, daß Du an der Seite eines Krüppels unglücklich wirst. Ich glaubte eben, ohne meinen Unterleib sei ich kein richtiger Mann mehr und könne Dir nicht die Liebe und Leidenschaft bieten, wie ein so traumhaft schönes Wesen wie Du sie erwartet und verdient. Es bedurfte erst der recht eindringlichen Worte eines alten Freudes und einer schlaflosen Nacht, bis ich einsah, was für ein Blödsinn das Ganze doch war. Wenn man sich wirklich liebt, dann spielen die Schwächen und Handicaps des anderen doch gar keine Rolle. Ich würde Dich doch schließlich auch kein bißchen weniger lieben, wenn Du eine Hakennase, einen Damenbart oder X-Beine hättest. Und darum bitte ich Dich heute und hier auch von ganzem Herzen um eine zweite Chance für uns! Kannst Du einem dummen, ängstlichen Trottel wie mir noch einmal verzeihen?!". Und als Sabrina daraufhin auch weiter nur schweigend den Monitor anstarrte, ergänzte er: "Also, wenn Du möchtest, dann knie ich mich sogar noch zu Deinen Füßen nieder und küsse Dir die bestrumpften Waden?! Es braucht dann am Ende nur zwei kräftige Männer, die meinen schwachen Körper mit seinem oftmals nicht minder schwachen Geist wieder in den Rolli zurücksetzen". Sabrina schaute mit einem Schmollmund zu ihm herüber. Oh Gott, wie süß sie doch auch dann noch war, wenn sie schmollte?! Ihr zartes Stimmchen aber knurrte leise: "Daß Du Dich ja unterstehst, mir hier wie ein sabbernder Hund die Beine abzuschlecken. Das kannst Du machen, wenn wir wieder zuhause sind und ich Dir geistesschwachem Jungen mal ordentlich den gelähmten Hintern versohlt hab. Also sowas Bescheuertes! Zu glauben, Du wärst ohne intakten Unterleib für mich weniger wert! Das kann auch nur einem Kindskopf wie Dir einfallen! Hast echt Glück, das ich bis dato innerhalb der britischen Singlemännerwelt noch keinen brauchbaren Ersatz für Dich gefunden hab! Und darum nehm ich Dich auch fürs Erste nochmal zurück!". Und ihm zublinzelnd ergänzte sie: "Aber nur, weil Weihnachten ins Haus steht und es in meinem Bettchen daheim allein so schrecklich kalt ist, und auch nur, bis ich was Besseres finde! Und jetzt komm endlich rübergesaust und küß mich, Du süßer Trottel!". Mit strahlenden Augen setzte Tim seinen Rollstuhl in Bewegung und begab sich um dem Schreibtisch herum an Sabrinas linke Seite, von wo aus er den - sich ihm wie in Zeitlupe mitsamt dem ganzen Rest ihres liebreizenden Gesichts zuwendenden - rotgeschminkten Lippen Sabrinas sogleich einen langen, innigen Kuß aufdrückte.

Ähnlich, wenn auch doch nicht ganz so nahe war man sich auch im Hausflur der Baker Street 221B gekommen, wo Saxi und Charles Wannabe nach dem gemeinsam eingenommenen, kargen Mahl dicht nebeneinander auf der Bank sitzend ein wenig ausruhten, während Wannabes Hundefreund - von seinem neuen Herrchen aus Ermangelung einer noch besseren Idee soeben auf den Namen Vierbein getauft - ganz aufgeregt zwischen den Füßen der Männer hin und her lief. Saxi hielt unterdess Charles gerade eben jene Anzugjacke entgegen, die er vorhin beim unsanften Weckruf des Exkriminalisten über seinem schlafenden Körper ausgebreitet vorgefunden hatte, und blickte ihn dazu fragend an. Charles Wannabe aber nickte eifrig und sprach: "Die stammt eindeutig von meinem Partner Lukas. Lukas Svensson, ein wahrer Menschenfreund und ein echter Pfundskerl". Und augenzwinkernd ergänzte er rasch: "Ok, eigentlich schon mehr ein Zwei-Zentner-Kerl. Und was seine Klamotten angeht, hat er echt keinerlei Geschmack. Wie kann man sich nur so ein minderwertig genähtes Teil von einem No-Name-Anbieter andrehen lassen. Vermutlich hat er es mal wieder billig für weniger als 20 Pfund auf irgendeinem Grabbeltisch gefunden". Saxis Blick musterte Wannabes wie auch seine eigene Erscheinung nach dieser abschätzigen Bemerkung mehrfach von oben bis unten. Als Wannabe das registrierte, wurde er sogleich ein wenig verlegen, und ergänzte schließlich kleinlaut: "Ja gut, so schlecht ist die Verarbeitung bei dem Anzugstoff ja dann nun auch wieder nicht ... Also schön, die Jacke ist tausendmal besser als beispielsweise mein schmuddliger Wattepelz hier. Und was nützt einem auch schon der edelste Zwirn, wenn er von oben bis unten völlig verdreckt mit einem riesigen Loch in Höhe des Hosenbodens daherkommt". Saxi nickte schmunzelnd: "Ganz genau! Man sagt zwar immer: Kleider machen Leute. Aber auch der nobelste Stoff der Welt vermag aus einem unausstehlichen Fiesling noch lange keinen guten Menschen zu machen. Das kann nur menschliche Nächstenliebe, wie sie einem geläuterten Herzen entspringt - so einem wie dem Deinem, Charles!". Wannabe war sichtlich gerührt und bekannte schniefend: "Das hast Du aber schön gesagt, mein Freund". Dabei zog er seine Knie ein wenig an, wodurch seine Füße unter der Bank gegen den Holzkasten mit dem Saxophon stießen und dadurch ein dumpfer Knall erzeugt wurde. Mit einem Ausdruck des Bedauerns schaute Wannabe zu dem Musiker an seiner Seite herüber. Der aber lächelte nur: "Keine Sorge, der Kasten hat schon ganz andere Erschütterungen ziemlich schadlos überstanden! Du ahnst ja gar nicht, aus wieviel schäbigen Kaschemmen ich in meinem Leben schon rausgeflogen bin, weil man mir nach einer durchspielten Nacht die vereinbarte Gage nicht zahlen wollte. Dabei ist mein kunstvolles Spiel auf dem Saxophon gewiß jeden einzelnen Penny wert. Soll ich Dir mal was vorspielen?!". Charles nickte eifrig. Und so holte Saxi sein Instrument aus dem hölzernen Kasten unter der Bank hervor, machte kurz ein paar seiner Entspannungsübungen für die Lippen und begann dann voller Inbrunst, die Melodie von Dionne Warwicks "That's What Friends Are For" zu intonieren. Charles Wannabe aber lauschte sichtlich berührt dem famosen Spiel des begabten Nordiren. Nachdem schließlich der letzte Ton verklungen war, und sich der Saxophonist vor seinem Ein-Mann-Publikum verneigte, klatschten Charles' Hände geradezu wie von selbst sekundenlang Beifall. Dabei seufzte der Ex-Yard-Chef und verkündete: "Sehr schön! So schön möchte ich das auch können. Aber mir wurde schon in Kindheitstagen die Freude am Spielen eines Instruments für immer genommen, als der von meinem Vater engagierte Hauslehrer mich jahrelang zwang, Blockflöte zu spielen. Nie wieder habe ich danach irgendein Instrument angerührt, was ich heutezutage zutiefst bedaure". Saxi nickte mit einem Ausdruck tiefen Mitgefühls: "Ja, aus Zwang heraus kann eben keine brennende Leidenschaft entstehen. Und die braucht es nunmal, wenn man ein Instrument so gekonnt beherrschen will, daß man andere damit tief in ihrer Seele zu berühren vermag". Jetzt war es Charles Wannabe, der nickte. Saxi aber streckte ihm sein Saxophon entgegen und sprach: "Also, wenn Du willst, dann bring ich Dir gern mal bei, wie man aus dem Teil die Töne rausbekommt". Wannabes Gesicht aber überkam sogleich ein freudiges Strahlen: "Das würdest Du wirklich tun für mich?! Ok, da sag ich nicht nein!".

Zum Neinsagen war es nun auch für Henry Fist endgültig zu spät. Die neonrote Digitaluhranzeige am Amaturenbrett vor ihm im Wagen raste geradezu auf das gefürchtete 17:00:00 zu. Durch die Windschutzscheibe des, am Rande einer Straße zum Stehen gekommenen Jeeps konnte er vor sich in gut 200 Metern Entfernung schon den Eingang zum Hyde Park erblicken, während sich neben ihm eine der Autotüren öffnete. Der dort sitzende Beamte sprang sogleich wie auf Kommando heraus und hielt sodann die Tür sperrangelweit auf. Jeffrey Douglas aber drehte sich zu Henry Fist um und raunte: "Also, alles bleibt wie besprochen! Sie verhalten sich gegenüber diesem Mister Cypher so unauffällig wie nur möglich und tun alles, was er sagt. Wir bleiben Ihnen auf den Fersen und schnappen zu, sobald wir es für richtig halten. Versaun Sie uns das bloß nicht mit Ihrer absurden, kindischen Angst! Sonst platzt unser Deal, und ich kann rein gar nichts mehr für Sie tun! Und dann heißt es unweigerlich: Aufwiedersehen große Freiheit, willkommen Zelle Nummer 7!". Henry Fist nickte mit gesenktem Haupt. Dann stieß ihn der zweite Beamte zu seiner Rechten auf Douglas' Zeichen hin derart unsanft aus dem Auto hinaus auf den Gehsteig, daß er dort fast zu Boden gegangen wäre. Nur mit Mühe gelang es Fist, sich doch noch rechtzeitig abzufangen, worauf er sofort, wenn auch etwas angeschlagen in Richtung Hyde Park davontaumelte. Jeffrey Douglas schaute abwechselnd auf den vor ihm Weglaufenden und die Anzeige des mitgeführten PDA in seiner Hand, auf dem ein blinkender grüner Punkt jeweils die aktuelle Position Henry Fists anzeigte. George Adams, der der ganzen Aktion von Anfang an mit eher gemischten Gefühlen beiwohnte, räusperte sich kurz und raunte dann: "Sir, ich wollte ja vor dem Mann da nichts sagen, aber nun kann ich doch nicht mehr umhin anzumerken, daß ich die geplante Verfolgung bei dieser Witterung und den um diese Zeit mit ziemlicher Sicherheit komplett verstopften Straßen in der Innenstadt schier für unmöglich und deshalb für den reinsten Wahnsinn halte. Wir spielen hier sozusagen mit dem Leben eines unschuldigen Mannes ...". Weiter kam Gelegenheitschauffeur Adams nicht mit seinen Bedenken, denn von der Beifahrerseite her brüllte es ihm schon entgegen: "Schnauze, Mensch! Ich hab Sie hier zum Fahren angestellt und nicht zum Quatschen! Also tun Sie gefälligst auch, wofür man Sie bezahlt und bringen uns samt dem Auto jetzt erstmal ein wenig außer Sichtweite".

Deutlich respektvoller und auf höherem Niveau, wenn auch teilweise kaum weniger kontrovers, war indes die Unterhaltung von Claudia Palmer und Lukas Svensson verlaufen, die immer wieder um die Thematik vom Sinn oder Unsinn des Umwegs zu jenem Ziel in der Hyde Park Street Nummer 24 - welches sie in ihrem Wagen in diesem Augenblick erreichten - kreiste. Und während Claudia erst das Auto am Straßenrand und dann den Motor abstellte, bat Lukas sie inständig um die Beilegung jener leidigen Diskussion. Es sei, so meinte er, nunmal geschehen und man könne daran nichts mehr ändern. Beim nächsten Mal aber wäre man halt schlauer, sofern es denn für sie Beide als Team überhaupt noch ein nächstes Mal gäbe. Claudia zeigte sich einverstanden mit dieser Lösung, und so verließ man gemeinsam kurzerhand das abgestellte Auto, worauf Fräulein Palmer sogleich schnurstracks auf die Eingangspforte zu Leon Ardos Anwesen zuging, während Lukas auf halber Strecke urplötzlich wie angewurzelt stehenblieb und - durch den sachte herabrieselnden Schnee hindurch - einem, in dieser Sekunde ganz langsam in eine Seitengasse einlenkenden schwarzen Jeep nachsah. Der Exinspektor rieb sich ungläubig die Augen und äußerte dabei recht laut, wenn auch mehr zu sich selbst: "Das war doch eins von unseren Einsatzfahrzeugen, oder?!". Claudia machte auf der Stelle kehrt, begab sich raschen Schrittes zu Lukas Svensson zurück und folgte dessen, in die Ferne schweifendem Blick. Von einem Fahrzeug war da weit und breit nichts zu sehen, weder von einem des Yard noch von sonst irgendeinem. Nur eine einsame, schwarze Katze passierte gerade von links nach rechts die Straße. Und kopfschüttelnd meinte sie schließlich: "Ist vielleicht doch mal langsam Zeit für eine Brille, oder, Mister Svensson, Sir?!". Schulterzuckend schaute Lukas sie an und folgte ihr dann bedächtigen Schrittes zum Eingangstor der Kunstsammlervilla ...

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